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Bio-Saatgut

Spezialistinnen im Garten

Bienen und ihre Nischen

von Jens Molter

Bereits 2009 erschien in den damaligen Saaten & Taten von mir ein viel weniger schön klingender Text mit dem Titel „Bienen in Not – Gärten in Gefahr“ über das Insektensterben und dessen Auswirkungen. Kein Wunder, denn schon vor 15 Jahren war das Thema drängend. Seitdem hat sich am Siechtum der Hexapoden genannten Tiergruppe leider nichts geändert außer seinem Ausmaß. Aktuelle Studien kommen bei jeweils einigen Prozentpunkten Unterschieden zu gleichermaßen erschreckenden Ergebnissen. So dürfte beispielsweise der Rückgang der Fluginsekten in Deutschland – gemessen anhand ihrer Biomasse – innerhalb weniger Jahrzehnte unfassbare 60 bis 80 % betragen.1

Bezogen auf ihre Artenvielfalt klingt dieser Schwund bei den hier im Fokus stehenden Wildbienen so: Von den gut 550 heimischen Arten stehen über 50 % auf der Roten Liste, da sie gefährdet sind. Und ca. 40 Arten (über 7 %) gelten als verschollen beziehungsweise ausgestorben!

Da stellt sich zu Recht die Frage, ob wir mit Glockenblumen im Garten die Welt der Insekten retten können. Nein, können wir nicht. Denn ohne uns schnellen Schrittes auf den Weg hin zu einer pestizidfreien, extensiveren und viel weniger monokulturellen Landwirtschaft zu machen, kann es nicht gelingen. Auch muss dringend der Lichtverschmutzung des Siedlungsraumes entgegengewirkt und weitere Flächenversiegelung verhindert werden. Aber Gärten können sehr wohl einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leisten und wahre Oasen sein. Und die Faszination für die winzige Welt z.B. der Glockenblumen-Scherenbiene kann beglücken und motivieren!

Wildbienen – eine kleine Einführung

Da der Schwerpunkt dieser Betrachtung auf den Wildbienen (statt auf ebenso gefährdeten Schwebfliegen, Schmetterlingen und so weiter) liegt, müssen Lebensweisen und Bedürfnisse der Bienenarten beachtet werden: Fast alle wilden Bienen leben solitär, das bedeutet, jedes Weibchen legt in geeigneten, vorgefundenen oder selbst gezimmerten Hohlräumen Eier, versieht diese mit ausreichenden Mengen Pollen und verschließt den Ausgang. Aus jedem Ei schlüpft eine Larve, die sich vom Pollenvorrat ernährt, um in der Regel im nächsten Jahr als Biene zu schlüpfen. Manche Wildbienenarten, im Wesentlichen die Hummeln, sind nicht solitär, sondern leben sozial. Bei diesen gründet eine Königin in deutlich größeren Hohlräumen im Frühjahr ein winziges Volk, immer mehr Arbeiterinnen pflegen später dann die Brut und sammeln Nahrung, bis das Volk im Herbst stirbt und nur die neuen, begatteten Jungköniginnen sich einen Überwinterungsort suchen.

Wildbienen – abgesehen von den Kuckucksbienen – sind daher generell auf drei Dinge angewiesen: Nistplätze, Nektar für sich selbst und Pollen für die Nachkommenschaft.2 Und hier wird es spannend für die bienengerechte Gestaltung des Gartens: Ohne Stauden oder Brombeeren, an denen die abgestorbenen Stängel verbleiben dürfen, ohne Totholz, ohne Wildnis in einer Ecke, ohne eine Trockenmauer oder ersatzweise eine Insektennisthilfe fehlt es an geeigneten Nistplätzen. Hierbei ist zu beachten, dass Bienenarten sehr spezifische Anforderungen bei der Nistplatzwahl stellen. Der Garten sollte also möglichst vielfältig und reich strukturiert sein. Leicht vergessen wird, dass viele Bienenarten ihre Nisthöhlen in Erdböden graben und dazu vegetationsarme, stark besonnte Areale suchen, an denen keine Bodenbearbeitung stattfinden darf.

Nektar ist für die Bienen sozusagen das tägliche Flugbenzin und wird außer bei den Hummeln nicht gehortet. Fast alle Arten sind diesbezüglich überraschend wenig wählerisch und naschen, wo es sich gerade anbietet.

Umso genauer nehmen es einige Bienen mit dem richtigen Pollen. Während einige Bienenarten an einem größeren Blütenspektrum Pollen sammeln (man nennt sie polylektisch), sind andere auf nur eine oder ganz wenige Pflanzenarten einer Gattung spezialisiert (oligolektische Bienen). Ein Beispiel dafür ist eben jene Glockenblumen-Scherenbiene. Fast alle Glockenblumenarten sind für sie als Pollenlieferant geeignet, aber Glockenblume, das muss schon sein!

Interessanterweise sind auf die Glockenblumen neben der genannten Scherenbienenart noch weitere drei Scherenbienen, dreierlei Sandbienen, zwei Glanzbienen, eine Sägehornbiene und eine Mauerbiene angewiesen – eine ungewöhnliche Häufung.

Spezialisierung ohne Ende

In vielen Sortenbeschreibungen weisen wir mehr oder weniger unspezifisch auf die Eignung der Pflanze für Insekten hin. Aber an manchen Stellen wären ähnliche Hinweise wie bei den Glockenblumen zu oligolektischen Bienen angebracht. Allerdings wäre das ob der Vielzahl an spezialisierten Insekten (auch bei Schmetterlingen und Käfern kommt das vor) uferlos und würde  den Rahmen der Saaten & Taten sprengen. So könnten auch Schafgarbe und Rainfarn den Zusatz gebrauchen, dass sie als Pollenquellen für wenigstens sieben Arten aus den Gattungen Sandbienen, Seidenbienen, Löcherbienen, Maskenbienen und Mauerbienen wichtig sind.3 Ähnliches stünde bei Natternkopf, bei Malven und Stockrosen, bei Esparsette oder bei Kornblume. Und nicht nur in unserem Blumensortiment könnten wir solche Hinweise einfügen. Etliche Kräuter unseres Sortiments von Alant über Bohnenkraut und Dost, über Herzgespann und Salbei bis Ysop ließen sich mit ähnlichen Informationen versehen.

Interessant ist die Häufung auch bei unseren Färbepflanzen. Sowohl Färberwaid, Färberwau, Färberhundskamille und der Saflor als Distelgewächs sind für jeweilige oligolektische Bienenarten wichtig. Zum Beispiel Kamille: Färberhundskamille ist Pollenquelle für mindestens sechs oligolektische Arten, auch die echte Kamille soll zumindest für einen Teil dieser Arten dienlich sein.

Sogar in den Blüten unserer Gemüsepflanzen tummeln sich emsig einige spezialisierte Bienen. Doch an dieser Stelle kommt der Mensch als Konkurrent ins Spiel: Wer den Kohlkopf isst, vereitelt die Blüte. Ein summendes Schauspiel zeigt sich, wenn zumindest ein Teil des Rosenkohls oder Grünkohls nach seiner winterlichen Nutzung im Frühjahr seine volle Blütenpracht entfalten darf. Bei Chicorée und (Kaffee-)Zichorien empfehlen wir dies schon lange, auch wegen der imposanten Optik. Denn wilde Wegwarten und kultivierte Zichorien sehen in Blüte nicht nur schön aus, sie versorgen wenigstens zehn Bienenarten mit Pollen.

Vielfältige Nischen für viele Insekten

So manche weitere Art unseres Sortiments beherbergt auf sie spezialisierte Bienen. Die Liste der vorgestellten Pflanzen muss auch an dieser Stelle unvollständig bleiben. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der alleinige Fokus auf oligolektische Bienen zu einer ziemlich speziellen Auswahl an Pflanzenarten führt. Nicht einmal einige der typischen Bienenweidepflanzen wie Phazelia sind dabei. Für den in seiner Gesamtheit insektenfreundlichen Garten kommen jedoch viele andere Aspekte dazu. In Not sind schließlich auch die weniger wählerischen Bienen, die schon erwähnten Schmetterlinge und Schlupfwespen, aber auch Käfer und viele andere Flug- und Krabbeltiere. Darum leuchtet es sofort ein, dass jegliche nektarreichen Blumen und Kräuter, Beerensträucher und Obstbäume ihren Platz im Garten haben sollen. Bei genauerer Betrachtung fällt dann auf, dass selbst wegen ihrer Blüten für Insekten ungeeignete Pflanzen für so manche Insektenarten dennoch wichtig sind: ungemähtes Gras und Brennnesseln z. B. sind Raupenfutterpflanzen. Erst die daraus schlüpfenden Schmetterlinge suchen später Blüten auf. Allein die oben genannte Anzahl von 550 Bienenarten und die fast unvorstellbare Fülle von insgesamt 34.000 bekannten Insektenarten in Deutschland machen verständlich: Alle diese Arten sind letztlich spezialisiert. Sie brauchen ganz genau ihre ökologische Nische, ihre eigene kleine Welt, eben wie die der Glockenblumen-Scherenbiene.

Wenn Sie nun Ihren Garten in ein Insektenparadies voller Nischen verwandeln wollen4, liegt mir noch ein letzter Aspekt am Herzen: Ihrem Nutzgarten, in dem biologisch und giftfrei gewachsene Salate, Gemüse oder Kräuter von Ihnen als Konkurrent noch vor deren Blüte geerntet werden, dürfen Sie weiterhin viel Platz einräumen. Denn die umfangreiche Erzeugung von Nahrungsmitteln in Gärten schafft Raum und Möglichkeiten für die Extensivierung der großen Landwirtschaft hin zu mehr Insektenschutz. Und auch Gemüsebeete selbst können für Insekten wertvoll sein. Einige blühende Beikräuter hier und da wie Mohn, Miere oder Knopfkraut sind Insektenmagnete und stören im Anbau meist nicht. Und ohne die an sich lästigen Ackerwinden könnten sogar zwei seltene Spiralhornbienenarten nicht überleben. Wenn dann noch in Ihren Beeten ein paar Küchenzwiebeln oder Porreepflanzen blühen dürfen oder mehrjährige Zwiebelgewächse wie der Berglauch einen Platz haben: Die Lauch-Maskenbienen und viele weitere Insekten werden es Ihnen sicherlich danken!

1 Insektenatlas. Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft, Heinrich-Böll-Stiftung, 2. Auflage 2020 (Als PDF-Download unter https://www.boell.de/de/insektenatlas)

2 Etliche parasitisch lebende Bienenarten verschiedenster Gattungen werden umgangssprachlich Kuckucksbienen genannt. Sie sammeln selbst keine Pollenvorräte für ihre Nachkommen, sondern bedürfen passender anderer Wildbienenarten, denen sie ihre Eier unterjubeln können. Solche korrekt als Brutparasiten bezeichneten Arten unterscheiden sich wiederum von Sozialparasiten, wie den Schmarotzerhummelarten, welche andere Hummelvölker kapern.

3 siehe z.B. Westrich, Paul: Die Wildbienen Deutschlands: 2., aktualisierte Auflage 2019.

4 Inspirationen dazu liefert z. B. das Buch: Schwarzer, Elke: Mein Bienengarten: 2., erweiterte Auflage 2020. Bestellbar auch bei uns, siehe S. 90.